Eine Episode aus der Vördener Stadtgeschichte (Mönchehof)
von Kaplan Christoph Völker, Vörden
Die ehemalige fürstbischöfliche Stadt und Festung Vörden hat wie viele größere Städte Westfalens im verflossenen Jahre ihr 600 jähriges Stadtjubiläum feiern können. Berichte über die eindrucksvoll verlaufene Festfeier, besonders über den wohlgelungenen großen historischen Festzug, sind durch die Tagesblätter gegangen und sollen hier nicht wiederholt werden. Statt dessen mag ein Kapitel aus der Vördener Stadtgeschichte hier Platz finden, das eines gewissen tragikomischen Einschlags nicht entbehrt und ebenso bezeichnend ist für den Charakter der Bewohner Alt-Vördens wie kulturgeschichtlich lehrreich und unterhaltsam zu lesen.
Zwischen der Stadt Vörden und dem Kloster Marienmünster bestand seit langem ein gespanntes Verhältnis. Das Kloster besaß seit dem Jahre 1613 den Zehnten in der gesamten Vördener Feldmark. Lange Zeit hatten die Mönche den Zehnten nicht selbst gesammelt, sondern ihn für jährlich 6 – 8 Fuder Getreide (1 Fuder = 48 Scheffel) an die Vördener Bürger verpachtet. Durch diese Regelung war den Bürgern die Zehntlast bedeutend erleichtert; denn einmal brauchten sie so kaum die Hälfte des wirklichen Zehnten zu liefern, der doppelt so viel wert war, wie der Pachtpreis betrug, und zudem verblieb ihnen das gesamte Stroh. Aber, wie es immer geht, wer es gut hat, will es noch besser haben. Die Vördener meinten, durch Ächzen und Stöhnen über den hohen Pachtpreis diesen noch weiter herabdrücken zu können. Die Mönche hatten ihre liebe Not, die 6 – 8 Fuder einzubekommen und mußten sich obendrein viele kränkliche Reden gefallen lassen. Schließlich waren sie das Leid und beschlossen im Jahre 1660, auf dem ihnen gehörenden Lutzershofe (dem heutigen Mönchehof) eine große Zehntscheune zu bauen, in der Absicht, fortan den Zehnten nicht mehr zu verpachten, sondern selbst zu sammeln. Da waren die guten Bürger in Not. Sie liefen zum Abt und bettelten, er möge ihnen den Zehnten doch weiter verpachten, sie wollten gern das Doppelte der bisherigen Pacht, nämlich 13 Fuder Getreide, geben. Aber die Zeit der Gnade war abgelaufen; der Abt blieb unerbittlich.
Die Vördener wurden grob; sie erklärten dem Prior, der mit ihnen verhandelte, das Kloster habe überhaupt nicht das Recht, in Vörden eine Zehntscheune zu bauen, denn nie habe dort eine solche gestanden. Der Prior gab zurück: „Auf unserm eigenen, freien Grund und Boden können wir bauen, was uns beliebt, und niemand kann uns daran hindern.“ Die Vördener: „Ihr dürft aber dann nicht durch unsere Tore und über unsere Straßen fahren, denn diese werden dadurch ruiniert.“ Der Prior: „Öffentliche Wege dürfen nur für Räuber und Spitzbuben gesperrt werden. Überdies können wir ja zur Wiederherstellung der etwa von uns kaputtgefahrenen Straßen etwas beitragen. Aber wenn ihr auch die Tore uns schließen würdet, so werden wir ein Loch durch unsere Mauer auf dem Mönchehofe brechen und so uns den so lang ersehnten, besonderen Zugang von außen schaffen.“ Im Hinblick auf die damals nicht mehr erstklassige Beschaffenheit der Mauern und Stadttore Vördens fügt der Prior seinem Berichte über diesen Vorgang die ironischen Worte bei: „Und was für herrliche Mauern und prachtvolle Tore haben doch jene bäurischen Städter (urbani illi rustici)!“
Die Scheune wurde gebaut, und die Vördener mußten sich´s gefallen lassen, daß das Kloster fortan den Zehnten selber sammelte. Vergebens machten sie bei der fürstbischöflichen Regierung in Paderborn ihr vermeintliches Recht auf Pachtung des Zehnten geltend. Sie konnten dasselbe nicht beweisen und wurden abgewiesen.
Vergessen haben die Vördener ihre Niederlage in der Zehntsache nie. Die Beziehungen zwischen ihnen und dem Kloster waren und blieben getrübt. Sie wurden es noch mehr, als einige dem Kloster anhängig gemachte Prozesse, deren einen man bis zum Reichskammergericht durchgefochten hatte, für die Stadt verloren gingen.
Der Mönchehof lag in der dem Kloster zugewandten Nordostecke der alten Stadt. Die Stadtmauer bildete nach zwei Seiten die Grenze des Hofes. Zwischen der Mauer und dem von Vörden nach Marienmünster führenden Wege, dem sogenannten Klosterwege, lagen nur zwei Gärten. Das Kloster brachte dieselben in seinen Besitz. Es fehlte nur noch das Loch in der Mauer, und man hätte von außen einen bequemen Zugang zum Mönchehof gehabt, ohne den weiten Umweg durch die Stadttore nehmen zu müssen. Das Loch wäre weder der Schönheit noch der Sicherheit der Stadt Vörden irgendwie abträglich gewesen, denn die Stadtmauer war damals schon in einer solchen Verfassung, daß sie jedermann „leicht und ohne einige Hindernus“ übersteigen konnte. Aber die Vördener versteiften sich nun einmal darauf, in dieser Sache dem Kloster Schwierigkeiten zu machen, soviel sie nur konnten. Dreimal, 1654, 1695 und 1707 suchte der Abt bei der Bischöflichen Regierung in Paderborn um die Erlaubnis nach, die Stadtmauer öffnen zu dürfen. Der laute Einspruch der Stadt Vörden bewirkte, daß die Erlaubnis jedesmal verweigert wurde.
Zwanzig Jahre vergingen. Da, es war im Jahre 1727, sehen die Vördener eines Tages, daß der Klosterknecht Wilhelm Engelen durch die obengenannten Gärten bis zur Stadtmauer einen Weg anlegt. Nach getaner Arbeit steigt der Mann über die Mauer und wirft dabei einige Steine herab. In der Folge sieht man ihn öfters an derselben Stelle die Mauer übersteigen. Auch der klösterliche Speichermeister Pater Ferdinand von Canstein, der Administrator des Mönchehofes, nimmt eines Tages diesen für einen Geislichen etwas ungewöhnlichen Weg. Bei jedem Übersteigen fliegen einige Steine herab. Schon ist ein deutliches Loch wahrnehmbar. Die Stadt klagt beim nächsten städtischen Jahrgericht gegen den Klosterknecht wegen Demolierung der Stadtmauer. Er gibt an, im Auftrage des Klosters gehandelt zu haben. Das hindert nicht, daß ihm zwei Taler Strafe zudiktiert werden. Das Loch in der Mauer läßt die Stadt mit Erlaubnis der Steinheimer fürstbischöflichen Beamten wieder zumauern.
Es ist kurz vor Weihnachten desselben Jahres. Die Vördener trauen ihren Augen nicht. An der alten Stelle der Mauer ist nicht nur ein Loch gebrochen, sondern eine regelrechte Tür mit Pfosten angebracht. Die Mönche haben heimlich unter einem Schlaglaken die Tür nach Vörden gefahren und ebenso heimlich während der Nacht die Mauer geöffnet.
Der Bürgermeister Johann Hölting (aus Wachtmeß Hause) läßt die Bürgerglocke ziehen. Männer und Weiber, Jünglinge und Greise mit Äxten und Barten und anderen Instrumenten rotten sich zusammen. Unter Führung des in gleicher Weise ausgerüsteten Stadtoberhauptes geht´s hinaus zur neuen Pforte. Mit dem Rufe, was ehrliche Bürgerskinder wären, sollten mit Hand anlegen zur Demolierung der Pforte, tut der Bürgermeister den ersten Hieb. Im Nu sind Pfosten und Tür abgerissen und entzwei gehauen. Die Stücke werden auf einen Haufen zusammengetragen und angezündet. In den Nachbarorten meint man nicht anders, wie ganz Vörden stehe in Flammen. anderen Tags läßt der Bürgermeister die Öffnung wieder zumauern.
Das Kloster wendet sich an das Offizialatsgericht in Paderborn. Dieses gebietet am 3. Januar 1728 den Vördenern bei Strafe von 10 Goldgulden, die weggerissene Pforte wiederherzustellen und allen Schaden zu ersetzen. An demselben Tage läßt das Kloster die Mauer wieder durchbrechen. Aber prompt heult auch die Bürgerglocke wieder Sturm, und es wiederholt sich ganz das Schauspiel wie vor Weihnachten, nur in etwas vergröberter Auflage. Diesmal werden sämtliche Fenster des Mönchehofes eingeworfen, und der Klosterknecht Johann Jürgen Dubbert halb tot geschlagen. Zum dritten Male wird die Mauer wieder zugemauert.
Das Kloster beschwert sich in Paderborn, verlangt Bestrafung der Bürger und Ersetzung des Schadens. am 23. September 1728 ist eine bischöfliche Kommission in Vörden zu einem Lokaltermin. Das Resultat ist, daß die Vördener straffrei ausgehen, und die Mönche mit ihrer Beschwerde abgewiesen werden. Sie waren eigenmächtig vorgegangen, und die Bürger hatten das Recht, sich dagegen zu wehren.
Vörden triumphiert. Ein Jahr lang läßt das Kloster die Sache ruhen, dann fast es dieselbe von einer anderen Seite an. Am 25. Juni 1729 war in Steinheim eine große Feuersbrunst entstanden. Drei Stunden hatten genügt, die ganze Stadt einzuäschern. Nur die Kirche und etwa zehn Häuser blieben erhalten. Gerade wegen Wassermangel war der Brand so groß geworden. Diesen Umstand nimmt Abt Benedikt zum Anlaß, am 27. September 1729 beim Bischof und Kurfürsten Klemens August um Erlaubnis zur Anlegung einer Pforte vorstellig zu werden. Die neu anzubringende Pforte, schreibt der Abt, sei von größter Wichtigkeit bei Feuersgefahr. Man könne durch dieselbe schnell aus dem nahen Klosterteiche Wasser in die Stadt schaffen. Der Grund schlägt durch in Paderborn. Gemäß dem Gutachten des Paderborner Geheimen Rates – so hieß das fürstbischöfliche Regierungskollegium – gibt der Kurfürst am 25. November 1729 von Bonn aus die Erlaubnis zur Anlegung der Pforte. Nur der Vorbehalt wird gemacht, daß, falls Vörden vielleicht einmal mit neuen Mauern versehen oder wieder befestigt werden würde, die Schließung der Pforte verlangt werden könne.
In Vörden herrscht auf die Kunde davon die größte Bestürzung. Man urteilt, als der Fürst im letzten Sommer auf der Rückreise von Hildesheim die Abtei besucht habe, sei zwischen ihm und den Mönchen die Sache abgekartet worden. Die Stadt protestiert und appelliert an den Geheimen Rat. Beides kann nichts helfen; denn der Kurfürst hat als Herr der Stadt wohl das Recht, die Erlaubnis zur Durchbrechung der Mauer zu geben. Den Vördenern wird vom Geheimen Rate bei Strafe des Arrestes aufs strengste anbefohlen, dem Kloster bei Öffnung der Stadtmauer und Anbringung der Pforte nicht hinderlich zu sein. Als dieser Befehl in Abwesenheit des Bürgermeisters Johann Konrad Meyer (aus Johann Simens Haus), dessen Frau durch einen Notar amtlich bekannt gegeben wird, meint diese leichthin, derlei Befehle seien der Stadt schon oft mitgeteilt worden. Man ist in Vörden weit davon entfernt, dem Befehle Folge zu leisten, und läßt sich hören, der Einbau der Pforte werde nicht geduldet werden, und wenn es auch dreien oder vieren das Leben kosten sollte. Unter solchen Umständen weigern sich die klösterlichen Arbeiter, die Öffnung der Mauer zu machen; sie fürchten für ihr Leben. Der Abt berichtet das nach Paderborn und erwirkt den Befehl an den Rentmeister Schlüter, den Verwalter des Amtes Steinheim, das Kloster mit bewaffneter Hand bei Anbringung der Pforte zu schützen. Es beginnt ein neuer Akt der Tragikomödie.
Der unkluge Mann begibt sich am 30. Oktober 1730 mit seinem Amtsdiener und dem gewaltigen Truppenaufgebot von ganzen zwei Soldaten der Landmiliz nach Vörden. Glaubte er, daß schon vor seiner Amtswürde die rebellischen Bürger ins Mauseloch kriechen würden? Da sollte er doch eine schwere Enttäuschung erleben. Bürgermeister und Rat werden also zusammengerufen. Der Rentmeister liest den hochfürstlichen Befehl vor. Danach ist es der Stadt bei Strafe von 50 Goldgulden verboten, die Anbringung der Pforte zu verhindern. In schnauzigen Worden fügt der Amtsgestrenge hinzu, der Bürgermeister möge sich nicht unterstehen, die Sturm- und Brandglocke zu rühren, wie sonst gemeinlich und sehr über zu geschehen pflege, viel weniger die geringste Opposition und Aufruhr zu machen, „ansonsten zu gewärtigen, daß der erste Rebell beim Kopf ergriffen würde“. Nichsdestoweniger gibt der Bürgermeister, der schon erwähnte Johann Konrad Meyer, sofort den Befehl, die Sturmglocke zu läuten und ruft, der Rentmeister mit den zwei Soldaten von der Landmiliz würden gegen die ganze Bürgerschaft wohl nichts ausrichten können. Und wenn er auch 50 Mann bei sich hätte, so wolle er doch den sehen, der so keck und Kühn wäre, jenen Mönchen bei Errichtung der Pforte beizustehen. Auch einen Stoß vor die Brust muß der Rentmeister sich vom Bürgermeister gefallen lassen.
Auf das Zeichen der Glocke ist in wenigen Augenblicken die ganze Stadt draußen an der Stelle, wo die Pforte eingesetzt werden sollte, mit Leitern, Schippen, Hacken, Mistfurken, Gräpen und anderen „rustikalischen Instrumenten“ versammelt. Als der Pater Kellner zur Eröffnung der Mauer schreitet und ein paar Steine von derselben herunterwirft, läßt der Bürgermeister sofort drei Leitern an die Mauer ansetzen. Ein Hagel von Steinen setzt ein. Die eingeworfenen Fenster des Mönchehofes klirren. Fluchtartig müssen Rentmeister, Patres, Soldaten und Arbeiter ins Haus retirieren., wollen sie nicht blutige Köpfe davontragen. Es verlautet nicht, daß der gestrenge Herr Rentmeister einen der Rebellen beim Kopf habe ergreifen lassen.
Am 12. November jedoch müssen Bürgermeister und Kämmerer – Konrad Schwabe aus Trumpets Haus – in Paderborn antreten und werden dort sofort in Haft genommen. Nach drei Tagen entläßt man sie schon wieder, nachdem sie vorher bei Verpfändung ihrer gesamten Habe schriftlich versprochen haben, sich in Zukunft aller Tätlichkeiten zu enthalten und auch der Bürgerschaft dieses zu bedeuten. Bezüglich der Pforte haben sich beide allem gütlichen Zureden gegenüber unzugänglich gezeigt mit Berufung auf die früheren Verbote der Paderborner Regierung, die Mauer zu durchbrechen.
Nach Hause zurückgekehrt, rühmen sich die zwei vor der Bürgerschaft, sie hätten für die Stadt in Arrest gesessen und tapfer für sie gestritten. Die Mönche sollten nun in Ewigkeit ihren Willen nicht haben.
Das Kloster ist wieder so weit wie vorher. Aus Furcht vor den Vördenern weigern sich nach wie vor seine Leute, einen Handschlag beim Bau der Pforte zu tun. Ja, es gewinnt den Anschein, daß die Stadt in dem Ringen schließlich doch Sieger bleiben werde. Denn auf eine Eingabe des Magistrates bei den Landständen ermächtigt der Kurfürst zu Anfang 1731 die Bürger: wenn sie in ihrer wider das Klostermarienmünster habenden Beschwer durch die bisher ergangenen fürstlichen Verordnungen graviert zu sein vermeinten, „den ordentlichen Weg rechtens und behörige Appellationsmittel zu ergreifen“. Damit hat die Stadt ein wichtiges Zugeständnis erreicht; sie kann jetzt in der strittigen Sache gegen den eigenen Landesherrn beim Reichskammergericht in Wetzlar Berufung einlegen. Aber die guten Bürger sind durch die bisher erfahrene große Geduld und Nachsicht der Paderborner Regierung so kühn und sicher geworden, daß sie die ihnen angebotene Waffe nicht ergreifen. Sie glauben offenbar, auch ohne Appellation den Bau der Pforte verhindern zu können, und vertrauen auf ihre Schippen und Gräpen und auf ihre Lungenkraft.
Ein Jahr und drei Monate wartet der Kurfürst vergeblich darauf, daß die Stadt die Appellation beim Reichskammergericht bewerkstelligen werde. Er unternimmt nichts in der Sache trotz aller bestürmenden Bittschriften des Klosters. Aber Vörden rührt sich nicht. So bricht denn schließlich das Verhängnis herein.
Am 28. Juni 1732 erläßt der Geheime Rat kraft kurfürstlichen Erlasses vom 26. Mai den Befehl: „Da die Stadt Vörden die ihm vom Kurfürsten verstattete Appellation nicht an Hand genommen habe, werde ihr unter Strafe von 100 Goldgulden anbefohlen, das Kloster bei Anbringung der Pforte nicht mehr zu hindern“. Schärfste Mittel, nötigenfalls Anwendung von Militärgewalt werden angedroht.
Im Kloster glaubt man, nun einen neuen Versuch wagen zu dürfen. Am Samstag, den 5. Juli 1732 begeben sich der Pater Küchenmeister, der Sekretär des Klosters, zwei auf dem Kloster in Arbeit stehende Tiroler Maurer und ein Handlanger auf Befehl des Abtes nach Vörden, um die Pforte zu setzen. Am Hungerberg hören sie die lautschallende Stimme des dort als Aufpasser aufgestellten Ziegenhirten: „Sie kommen, sie kommen!“ Am Eingang der Stadt fragt ein Weib den Pater und seine Begleitung, ob sie auch ihr Totenhemd mitgebracht hätten? In der Stadt schreit ein anderes Weib: „Heraus, heraus, mit Gräpen und Schippen!“ Der Pater begibt sich zum Bürgermeister Konrad Schwabe, der zwei Jahre zuvor Kämmerer gewesen. Er stellt ihm vor, welch hohe Strafe auf der neuen Verhinderung des Pfortenbaues stände, und wieviel Ungelegenheiten sich die Stadt damit bereite. Der „kleine, schwarze Bürgermeister“ zuckt die Schultern, er könne es nicht hindern, wenn Weiber und anderes Gesinde den Bau wieder hintertrieben.
Die Frauensleute sollen also diesmal das Wort haben, während die Männer sich zurückhalten wollen. Das ist der schlau ausgesonnene Kriegsplan der Vördener. Bürgermeister und Rat können dann hinterher sich damit ausreden, sie hätten mit der Sache nichts zu tun gehabt, und die Strafe kann die Stadt nicht treffen.
Als die Leute des Klosters mit dem einreißen der Mauer beginnen wollen, wiederholt sich das alte Manöver. Erst sind nur wenige Weiber mit Zaunstecken bewaffnet vor der Mauer und schimpfen und spektakeln. Zusehends vergrößert sich der Haufen. Auch halbwüchsige Jungen gesellen sich bei. Stangen, Schippen, Gräpen und Barten werden sichtbar, die gewohnte Kriegsausrüstung. Die Führung hat die Frau des Richters Heinrich Krois (Kroßrieks). Sobald die ersten Steine von der Mauer fallen, setzt der Steinhagel wieder ein. Es bleibt den Klosterleuten nichts übrig, sie müssen unverrichteter Sache wieder heim. Auf dem Rückwege zum Kloster begegnen sie vor der Stadt dem Bürgermeister und dem Bürger Hermann Albers. Ersterer sagt zu dem Handlanger, wie er sich nur dazu brauchen lasse könne! Hermann Albers aber ruft den tumultuierenden Weibern zu, die sollten den Handlanger in den Möncheteich werfen. Die kuragierten Weiber sind sofort dazu bereit. Nur durch schleunige Flucht kann der Ärmste sein Leben retten.
Jetzt endlich rafft sich die Stadt dazu auf, die Appellation beim Reichskammergericht anhängig zu machen. Die Appellation wird dort auch angenommen. Aber es ist zu spät. Der Kurfürst kann, nachdem die Sache soweit gediehen, ohne schwere Schädigung seiner landesherrlichen Autorität die Appellation nicht mehr zulassen. Sein Einspruch beim Reichskammergericht hat die Wirkung, daß das Verfahren eingestellt wird.
Am 8. August 1732 ergeht die Verfügung militärischer Exekution gegen die ungehorsame Stadt. Am folgenden Tage erscheint in Vörden unter Führung des Leutnants Dreyer ein Kommando von 30 Soldaten, darunter 27 Musketiere, 1 Feldwebel, 1 Korporal und 1 Tambur, um die Arbeiter des Klosters beim Bau der Pforte zu bedecken. Die Soldaten haben die Anweisung, sich beim Bürgermeister und Rat einzuquartieren und sich aus der Stadtkasse täglich für den Leutnant 24 Groschen, für den Feldwebel 12 Groschen, für den Korporal 8 Groschen und für jeden Musketier 6 Groschen solange auszahlen zu lassen, bis sich die renitente Stadt zum Gehorsam angeschickt habe.
In Vörden flackert noch einmal der alte Trotz auf. Als der Leutnant laut seiner Order beim Bürgermeister und Rat für sich und seine Leute Quartier verlangt, entsteht ein Tumult. Der Bürgermeister erklärt, wer die Soldaten bestellt habe, der solle sie auch beköstigen. Andere schreien, man werde sich weder gutwillig noch mit Gewalt dazu verstehen, den Soldaten Quartier zu geben, wenn schon Mord und Totschlag davon herkomme. Der Leutnant berichtet später, die meisten Vördener seien betrunken gewesen. Es entsteht eine Schlägerei zwischen Soldaten und Bürgern, wobei von letzteren einige so „erbärmlich“ geschlagen werden, daß der gerade auf dem Schlosse anwesende Domkapitular von Haxthausen zuspringen muß, um Schlimmeres zu verhüten. anscheinend hat man dann den Soldaten Quartier gegeben.
Fünf Tage bleiben die Soldaten in Vörden und stellen dafür eine Rechnung von 30 Reichstalern 28 Groschen aus, welche die Stadt bezahlen mußte. Unter dem Schutze der Soldaten ist die Stadtmauer durchbrochen und die Pforte gebaut worden, ohne daß die Vördener sich noch widersetzten.
Fünf Jahre lang hatte der vergebliche Streit um den Bau der Pforte gedauert. Abt Benedikt ließ wie zum Zeichen seines endlichen Sieges in die Pforte einen Stein einsetzen mit der Inschrift: „Fecit Benedictus abbas ao 1730“ , d. h. errichtet vom Abt Benedikt im Jahre 1730. die Jahreszahl stimmt nicht, denn erst 1732 ist die Pforte gebaut worden. zwei Jahre lang also hat der fertige Stein gelegen, ehe er an seinen Platz kam. Der Stein ist heute noch vorhanden.
Als die Pforte fertig war, sahen die Bürger, wie bequem das Vorhandensein eines besonderen Ausgangs an dieser Stelle der Stadt für sie selber war. Bis auf den heutigen Tag wird der Weg über den Mönchehof und durch die einst so heiß umstrittene Toröffnung gern und oft benutzt, sodaß vor Jahrzehnten sogar ein Prozeß um die Frage geführt worden ist, ob dieser Weg ein öffentlicher sei. Die Frage ist allerdings negativ entschieden. Mancher Vördener Bürger, der in Zukunft seinen Weg über den Mönchehof nimmt, wird vielleicht daran denken, mit welch erbitterter Hartnäckigkeit einst seine Vorfahren sich gegen den Bau der so nützlichen Pforte gewehrt haben, und daß Rechtsstreitigkeiten letztlich doch nicht mit Schippen und Gräpen entschieden werden können.
Quelle:
Heimatbuch des Kreises Höxter 1925, Seite 74-80
Im Auftrage des Kreisausschusses herausgegeben von Christoph Völker, Kaplan in Vörden
Selbstverlag des Kreises, Auslieferung durch die Bonifacius-Druckerei in Paderborn